Dietrich Kittner

Biografie

Personalien

Dietrich Kittner, Kabarettist, Jahrgang 1935, studierte in Göttingen
die Rechte (!) und Geschichte.
Gründete 1960 dort das „Göttinger Studenten-und Dilettanten-Kabarett „DIE LEID-ARTIKLER“. 1961 Anmeldung eines „Gewerbebetriebes fur politische Satire“ beim Ordnungsamt der Hauptstadt Hannover. „Die Leid-Artikler“ zählten schnell zur „Spitzengruppe des deutschen Kabaretts“ (Frankfurter Rundschau). Kittner schrieb und spielte bis 1965 acht Ensemble-Programme.
Wurde beim ersten – einstweilen noch privaten – Einmann-Kabarett-Versuch 1965 in Hannover auf offener Straße mit Stahlhelm und Gasmaske verhaftet. Keine Lehre daraus gezogen, im Gegenteil: Betreibt seit 1966 konsequent Solo-Programme (Kittner: „Es ist eben doch effektiver, die Mitspieler im Saal zu haben.“)
Gründete und betrieb als feste Spielstätten in Hannover: nacheinander Kabarett Mehlstraße (1963), Kabarett club voltaire (1968), Theater an der Bult – tab (1975), Theater am Küchengarten – tak (1987). Die Umzüge hatten Gründe, Rundfunkkommentar: „Gab es bisher nur schwer tab-Karten, so hat sich dieser unhaltbare Zustand nach dem Umzug ins neue, fast doppelt so große Haus geändert: Jetzt kriegt man keine Karten fürs tak.“
In Kittners Häusern traten als Gäste unter anderem auf: Hanne Hiob, Lin Jaldati, Gisela May, Ilse Scheer, Hanne Wieder, Reinhold Andert, Franz-Josef Degenhardt, Dieter Hildebrandt, Hanns-Dieter Hüsch, Georg Kreisler, Hans-Peter Minetti, M. A. Numminen, Bill Ramsey, Ilja Richter, Ekkehard Schall, Dieter Süverküp, Günther Wallraff…
Viel beachtet waren 1987 und 1988 die mit großen Mühen relisierten, damals einmaligen, Gastspiele der DDR-Ensembles „Akademixer“, „Distel“, „Herkuleskeule“ und „Pfeffermühle“.
Ausstellungen u.a.: Dettelbach, Donan, Grundig, Kurowski, Petrowsky, Schellemann, Sorge, Uli Stein, Zingerl…
Kittner übergab nach in tab und tak 18 durchgängig ausverkauften Spielzeiten 1993 die Geschäftsführung an eine GmbH, absolvierte seitdem bis 2006 dort nur noch jährlich jeweils 6-8 wöchige Wintergastspiele. 2007 endgültige Trennung vom tak.
Seit 1998 war Dietrich Kittner auch Mitherausgeber und Autor der Zweiwochenschrift „OSSIETZKY“.

Satiriker aus Leidenschaft

Uber 40 Jahre macht Dietrich Kittner politisches Kabarett. Wer jedoch diesen Denkspaßmacher aus Leidenschaft bequemerweise einfach in die Schublade Urgestein packen wollte, würde auf den geballten Widerspruch der uber 3 Millionen Zuschauer stoßen, die bisher eine von Kittners uber 7000 Vorstellungen live erlebt haben.
Mit schöner Kontinuität verleihen Kritiker aller Richtungen unserem Mann nämlich seit Jahrzehnten und nahezu einhellig das Prädikat des bissigsten“, „aufmüpfigsten“, „unverwüstlichsten“ und gar des „gefürchtetsten“ Satirikers deutscher Zunge. Daß dem so ist, und daß auch die zahlreichen offentlich bekannt gewordenen Versuche, den Satiriker mundtot zu machen, bisher stets glorios scheiterten, hat seinen Grund einfach darin, daß hier einer von seiner Idee besessen ist. Der Idee nämlich, daß es möglich sein muß, wirksam Erkenntnisse zu verbreiten auf witzgescheite und pointensprühende Art. Daß sich unter die Schadenfröhlichkeit nicht selten auch Betroffenheit mischt, ist seit den Logikern Eulenspiegel und Schweik – Kittners erklärten Lieblingsfiguren – Absicht und tut dem Vergnügen keinen Abbruch. Dem Vergnügen, das zu den größten des Menschen zählt, und das Brecht Denken heißt. Folgerichtig erklärte Kittner schon 1960 in einem ersten programmatischen Aufsatz das Gehirn zu der „entgegen anders lautenden ondits immer noch reizbarsten Stelle des Menschen“. Denken und Lachen als Einheit von Kopf und Bauch. Dietrich Kittner nimmt die Unverfrorenheit, mit der Großmächtige Hirnrissigkeiten öffentlich fur Logik ausgeben, als persönliche Beleidigung. Brisante Mischung: Ein immer noch junger Wilder mit der Erfahrung des Altmeisters.

30 Programme

Kompromis(s)ere
In höheren Kr(e)isen
Cavalleria tristicana
Status, quo vadis?
Der Freiheit eine Kasse!
Im Westen nicht Treues
Goldene Pleiten
Arm aber kleinlich
Bornierte Gesellschaft
Konzertierte Reaktion
Siecher in die 70er Jahre
Dein Staat – das bekannte Unwesen
Wollt Ihr den totalen Mief?
Schöne Wirtschaft
Kittners progressive Nostalgie
Der rote Feuerwehrmann
Dem Volk aufs Maul
Maden in Germany!
Der Widerspenstigen Zählung
Hai-Society
Droge Deutschland
Groß, größer – am Ende
Das Vierte Reicht
MORDs-GAUDI I
MORDs-GAUDI II
40 Jahre unter Deutschen
Bürger hört die Skandale!
(Der Krieg der Tröpfe)
Die Agenda der Durchgeknallten
Lachen amtl. verboten, gem. PassMustV §7, Abs. 3
„Sehr geehrte Drecksau!“

Kittners Programme sind kaum einzuordnen, denn er beherrscht alle Stile und Spielrichtungen der 10. Muse: Sketch und Conference, Chanson, Parodie und Ballade, Nachricht, Pamphlet und Morität. Aus all dem mischt er einen Cocktail, der das Auditorium nicht zu Atem kommen laßt. Lachen, Nachdenklichkeit und Gruseln im Dreierpack.

Die Bühnen

In rauchigen Kabarettkellern bringt Kittner seine Pointen ebenso sicher an wie in den großen Hallen: dem Hamburger Audimax oder der Berliner Deutschlandhalle. Genauso geht es jedoch rund in den Stadttheatern und Schulaulen, in Hörsalen, bei Volkshochschulen, in Kommunikations- und Kulturzentren. Kittner baut seine Buhne überall dort auf, wo man ihn läßt.
Werkhallen und Streiklokale waren schon Spielstätten, ebenso wie Barocktheater und Kirchen, das Salzburger Mozarteum, das Hambacher Schloß, der Zirkuskrone-Bau , das Brecht-„Theater am Schiffbauerdamm“, Schloß Rammenau, das Potsdammer Neue Palais oder der legendäre Zürcher Dada-„Hirschen“. Über 700 Gastspielorte zwischen Amsterdam und Prag, Helsinki und Zagreb weist Kittners Statistik bisher aus. Fester Pol einzig:
die traditionellen längeren Wintergastspiele in Hannover.
 

Auslandsgastspiele:
Belgien, Finnland, Italien, Jugoslawien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweden, Schweiz, Slowenien, Tschechien.

Festivals:
Steirischer Herbst, Graz; Ruhrfest-Spiele, Recklinghausen: Berliner Festtage; Open-Ear, Mainz; Helsinki-Festival; Festival des politischen Liedes, Berlin; Motz-Art-Festival, Salzburg; Erlanger Kabarett-Tage; Weltfestspiele der Jugend und Studenten; Bonner Sommer; Berliner Festwochen; Internationale Kabarett-Tage; Leipzig; OFF-Theater-Festival, Zagreb; Lachmesse, Leipzig; Franz & Franc, Gornja Radgona; Oltner Cabaret-Tage; u. v. a. m.

… nicht nur im Kabarett

trat und tritt Kittner auf, sondern häufig auch an Brennpunkten politischer Meinungsbildung: bei den Manifestationen der Friedensbewegung ebenso wie im Niedersächsischen Landtag, bei Antifaschismus-Antirassismuskundgebungen, von der Amsterdamer RAI bis zur Menschenkette auf dem Wiener Ring.
Die Kittners sehen ihren Beruf eben keineswegs bloß als Job. Sie sind übrigens seit 1960 nicht nur in der Arbeit – Christel Kittner fährt von Anfang an die Bühnentechnik – ein Team, sondern auch privat.

… auch das noch:

Preise:
Theaterpreis der Hannoverschen Presse (1976); Deutscher Schallplattenpreis (1980); Deutscher Kleinkunstpreis, Ehrenpreis (1984); Sechsmal die Sterne der Abendzeitung München; Großer Niedersächsischer Verfassungs-Schutz-Preis (1990); Garchinger Kleinkunst-Maske (1993); Erich-Mühsam-Preis (1999); Gaul von Niedersachsen (2006); Stern auf dem „Walk of Fame des Kabaretts“, Mainz (2006) u. v. a. m.

Bilanz

Hätte jeder Zuschauer in einer Kittner-Vorstellung bisher nur 5 Minuten reine Lachzeit investiert, ergabe das aneinandergereiht einen Dauerlacher von knapp 29 Jahren, Tag und Nacht. Die Frankfurter Rundschau schrieb: „Es ist nicht übertrieben, wenn Feuilletonisten großer Zeitungen ihn als zur Zeit besten Kabarettisten bezeichnen.“ Der Ehrenpreis des deutschen Kleinkunstpreises 1984 erschien da nicht unverdient. Daß unser Mann trotzdem seit 1972 nur noch selten im Fernsehen auftaucht, ist kein Widerspruch. Kollege Dieter Hildebrandt nannte dies mit Recht öffentlich „einen verheerenden Zustand“ und einen „Skandal“. Kittner selbst sieht es – inzwischen – gelassener: „Da muß ich nicht immerzu um jede Formulierung feilschen. Warum sollte ich eine andere Meinung äußern als die eigene?“ Vielleicht machte gerade dieser Luxus das Unverwechselbare an Kittners Programm aus.

Dietrich Kittner verstarb am 15. Februar 2013 in Bad Radkersburg.